Birds 2013

Birds 2013
smatritje neba

21.1.17

Beim Pio


All along the watchtower.  

-Text aus Tagebuch Karlsruhe -

Ich kann Dir nicht mehr sagen, was der Hit war und was die Rückseite der Platte, für deren Abspielen wir untereinander sammelten. Jimmy Hendrix. Heute hörte ich „all along the watchtower“ und ich wurde erinnert. Ja, wir brauchten Jimmy Hendrix und Bob Dylan.
Es war ein italienisches Eiscafe', beim "Pio", in dem wir uns trafen. Dieser „Ausländer“ war der einzig Mutige in der kleine Stadt, der so eine Musik in seiner Musikbox spielen ließ. Draußen üble Stimmung. Düstere Gespräche über die rote Gefahr aus dem Osten und die Sozis hier, abschätzige Bemerkungen über die Amis und verkniffene Gesichtszüge einer malochenden Armut. Wir aber wollten leben. All das war weit weg von dem, was uns hinaus und zueinander zog. "I can't get no satisfaction", die Stones hatten recht.
Und da hinein schlugen plötzlich explodierende Laute und von Stimmen von Selbstvertrauen. Unerhörte Melodien. Wir verstanden nicht, was dieser Jimmy Hendrix sang. Aber das war klar: Die Sehnsucht hieß "Freiheit".
Wir standen nicht auf, und bis wir zur ersten Demo gingen vergingen noch Jahre. Wir tranken Tee (dauert länger, bis er kalt ist und ist billiger - Geld sparen für Musikbox) und warteten. Wochen, Monate auf ein Irgendwas. Die unterschiedlichen Schulwege führten uns voneinander weg. Wir warteten in anderen Räumen, mit anderen Freunden.
Eins war klar: es gab irgendwo Freiheit. Und ersehnt, doch unvermutet kam die Liebe.
Immer wieder in der Vergangenheit hat der Egoismus des Spießers und das Wir-Zuerst der Menschenverachtung versucht, die 68er Hoffnungen auszulöschen. Sie haben nun die Macht, eine russische Depression aus Amerika. Es wird wohl etwas länger dunkel sein.
Wohin geht Ihr, um einander zu treffen? Was sind Eure Lieder? Was bringt Euch zusammen?
Ich wünsche Euch ein Leben der Freundschaft und der Liebe - in Freiheit.
Das Lied war „Purple Haze“.
20.1.17 Klaus Wachowski

9.1.17

Rank-Schmied Walser

De morituri nil nisi bene




"statt etwas - letzter Rank", Walsers Alterskalauer.

Nicht einmal so kurz vor dem Ende die Gemeinheit gegen Ranicki öffentlich bereuen können, im Gegenteil glauben, "verzeihen" zu dürfen!

Reue ist schwer. Aber wie sonst will man nach dem Ausflug Leben ganz zu sich und der Welt zurück kommen?

Und: er hat doch lange genug schreiben geübt. Sollte da nicht der Wunsch sein, zum Ende hin doch noch etwas zu sagen?

Blindheit des Ich. Oder Altersstarre?

*

Empfehlenswertes Gegenbeispiel: Mankell.

4.1.17

Rote Krabbe auf der Weihnachtsinsel

Es ist ein Anblick des Jammers. Terra X zeigt einen Beitrag über die Weihnachtsinsel, von Millionen von feuerroten Krabben in riesigen Strömen durchwandert.

Dann richtet sich die Kamera auf dieses Exemplar. Sie hat mit riesigen Scheren zwei Ameisen gepackt. Der Kommentator erklärt, dass die Zeit der roten Krabben wohl vorbei ist. Heere von eingeschleppten Ameisen verätzen den Krabben Augen und Mund. Sie können sich nicht mehr ernähren und verhungern.

Essen Ameisen Krabben? Möglich.

Mich dauert der Anblick der nun leicht zur Seite gekippten Krabbe mit dem trüben Auge und dem tropfenden Mund.

Ich hasse unter den Tieren zur Hauptsache die Mörder. Ansonsten sind sie mir eher gleichgültig. Menschen bedeuten mir regelmäßig mehr.
Die Natur ist wie das Leben: schön zu leben, schön und schrecklich zu sein, schrecklich und manchmal schön zu sterben.

Die Ameisen kommen. Nützlich, nicht wahr? Sie killen, was ihnen unterkommt. Laß sie gehn! Aber die Krabbe dauert mich. Sie darf nicht einmal in Ruhe sterben.

Ich stelle mir unter Gott dieses Gefühl vor, das in mir ruft: "Nein!" und doch keine Macht hat, es zu ändern. Vielleicht hat es dem Kameramann den Wunsch eingegeben, die Krabbe auf einem von Ameisen freien Platz auszusetzen und die Augen mit Wasser abzuspülen.

"Sentimental!" -  Sagt wohl die Vernunft. Ich denke: "menschlich".

Die Vernunft sagt - ganz ameisenhaft: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral". Ich habe diesen Satz oft mit erhobenem Zeigefinger gesagt. Jetzt habe ich dazu keine Lust mehr. Das Gefühl hat einigen Raum von der Vernunft zurückerobert. Ich bin Jahre älter, als Brecht wurde.